Corona & die Gesellschaft: Was Menschen in einer Krise hilft

Covid-19 hält die Welt in Atem. Wir erleben eine bisher unvorstellbare Situation. Jeder Mensch ist Teil der Krise. Jedes Unternehmen davon betroffen.

Auch wir möchten dieses Thema mit unterschiedlichen Expert:innen beleuchten und Ihnen wertvolle Informationen und Tipps mit an die Hand geben, die Sie durch diese Krise begleiten.

Unser heutiger Schwerpunkt: Krisenintervention. Wie Menschen mit der Coronakrise umgehen und was sie brauchen, um diese gut zu bewältigen.

Schulen werden geschlossen, Geschäfte leergekauft, Veranstaltungen abgesagt. Ein neues Hygienebewusstsein entsteht. Das Coronavirus fordert die Gesellschaft heraus. Jeder Mensch ist Teil dieser Krise. Und jeder Mensch hat sich der Krise zu stellen. Wie wir Menschen das tun, ist vielfältig. Die einen reagieren besorgt, andere strukturiert und vorsorgend, andere zeigen sich von ihrer zynischen Seite und wieder andere erleben Panik.

Doch was braucht es, damit Menschen die aktuellen Einschränkungen gut mittragen und diese herausfordernde Situation bestmöglich meistern? Das und mehr haben wir bei Dr. Cornelia Martens, dipl. psychologische Beraterin, systemischer Wirtschaftscoach und Unternehmensberaterin, nachgefragt.

dr cornelia martens eap institut

Dr. Cornelia Martens im Interview
mit Anna Mahayni von
Great Place To Work® Institute

team mahayni

Wir sind zweifelsfrei individuell. Kein Mensch gleicht dem anderen. Dennoch gibt es in Krisen wie dieser gemeinsame Phänomene. Was beobachten Sie in dieser aktuellen Ausnahmesituation?

Cornelia Martens: Gerade jetzt sehen wir, wie individuell und unterschiedlich Menschen sind. Und genauso unterschiedlich sind auch die Reaktionen der Einzelnen auf die derzeitige Ausnahmesituation.

Auf der einen Seite sind da jene, die immer noch nicht wahrhaben wollen, worum es eigentlich geht. Auf der anderen Seite sind die Pessimisten, die der vermeintlichen „Endzeit“ entgegensehen. Gemeinsam ist uns allen, dass wir in Krisen klare Strukturen brauchen und Dinge verstehen wollen.

Eines ist auch klar: Wir Menschen sind ausgezeichnet in der Lage, uns selbst an widrigste Veränderungen anzupassen. Auch wenn wir Veränderungen grundsätzlich vielleicht nicht schätzen.

 

Was passiert in einer Krise mit Menschen?

Cornelia Martens: Selbstverständlich kennen wir aus der Literatur typische Reaktionsmuster auf traumatische Krisen, wie einen plötzlichen Todesfall oder einen anderen schweren Verlust. Ich möchte die gegenwärtige Situation aber bewusst nicht als traumatisches Geschehen bezeichnen. Ich denke, das wäre kontraproduktiv.

Die stückweise Vorbereitung einer ganzen Nation auf sehr drastische Einschnitte des täglichen Lebens ist meiner Meinung nach außerordentlich gut gelungen. Das erkennen wir daran, dass eine große Mehrheit der Bevölkerung die Einschränkungen erstaunlich konstruktiv mitträgt. Wir sind zum Glück nicht traumatisiert.

Wenngleich wir auch nicht traumatisiert sind, so ist es doch eine Krise, bedingt durch zum Teil drastische Einschränkungen.

 

Was braucht es, dass Menschen Einschränkungen gut mittragen und herausfordernde Situationen gut meistern können?

Cornelia Martens: Ich denke, dass es wieder darum geht, zu fragen: Was brauchen Menschen in einer derartigen Situation, in der sie mit unliebsamen Einschränkungen konfrontiert sind, am meisten?

 

Zunächst will ich als Mensch verstehen, worum es geht.

Die Fähigkeit, die Zusammenhänge des Lebens verstehen zu wollen, ist eine zutiefst menschliche Eigenschaft. Je mehr ich verstehe, desto geringer ist meine Unsicherheit. Somit ist es wichtig, klar, transparent und offen zu kommunizieren, damit die Betroffenen ein Verständnis für die Situation entwickeln können. Das bedeutet freilich nicht, dass jeder wirklich alles bis ins kleinste Detail verstehen muss. Es muss das Gesagte plausibel, nachvollziehbar und glaubwürdig sein.

 

Menschen wollen gestalten, sie wollen Herr ihres Handelns sein und nicht Opfer oder Spielball der Umstände.

Wir Menschen lieben es, das eigene Leben gestalten zu können. Das gibt das Gefühl, dass eine Situation bewältigbar ist. „Wir schaffen das“, konnten wir häufig hören. Genau dieses Gefühl brauchen wir.

Wir sehen das jetzt sehr schön an den vielen privaten Initiativen, vom Einkaufen für die Nachbarn bis hin zum Freiwilligendienst. Michael Opriesnig, Generalsekretär des ÖRK, hat es an einer kleinen Geschichte festgemacht: Einer Selbstständigen, der auf Grund der derzeitigen Lage alle Aufträge wegbrechen, meldete sich beim Roten Kreuz, um als Freiwillige zu helfen.

Wir sehen landauf, landab zahlreiche ähnliche Beispiele, und das Beste daran: Auch wir können aktiv werden und gestalten.

Was aber, wenn wir auf Grund von äußeren Umständen, weil wir zum Beispiel krank zu Hause sind, nicht mehr gestalten können? In diesen Fällen haben wir immer noch eine Möglichkeit der Gestaltung, nämlich jene, unsere Einstellung zu der Situation zu gestalten. Das ist oft wesentlich schwerer als aktives Anpacken. Ich denke an meine Tante, die seit Jahren an COPD erkrankt ist und die auf ihre Sauerstoffflasche angewiesen im Rollstuhl sitzt. Sie klagt so gut wie nie, trotz der mehr als schweren Lebensumstände – im Gegenteil, sie nimmt jeden Tag mit Humor und bewundernswert positiver Einstellung.

Viktor Frankl, Begründer der dritten Wiener Schule der Psychotherapie, sagte: “Die letzte der menschlichen Freiheiten besteht in der Wahl der Einstellung zu den Dingen.“

 

Menschen fühlen sich wirkungsvoll, wenn sie einen Sinn sehen. Sie wollen etwas tun, das Bedeutung hat.  

Es ist sinnvoll, der alten Nachbarin oder dem Nachbarn, die/der krank ist, zu helfen und zum Beispiel Einkäufe abzunehmen. Dies lenkt die Aufmerksamkeit gleichzeitig in eine andere und positive Richtung, weil eine gestaltende Perspektive eingenommen wird. Ich tue etwas, das dem anderen guttut, der Gesellschaft hilft und dieses Gefühl fällt wieder positiv auf mich als HelferIn zurück. Und umgekehrt: Der, dem geholfen wird, erkennt, wie schön und sinnvoll die Unterstützung des Helfers ist. Durch das Annehmen des Hilfsangebots und durch die Dankbarkeit schenkt dieser dem Helfenden wieder ein gutes Gefühl. All das hält uns resilient auch in Zeiten der Einschränkungen.

 

Dennoch sind die Belastungen innerhalb von Familien ziemlich hoch: Kein Kontakt zu Großeltern, Schulen und Kindergärten sind geschlossen und dem Beruf muss nachgegangen werden. Das sind Belastungen, die den Menschen viel abverlangen.

Wie sehen Sie das und wie kann geholfen werden? Gibt es Hotlines, bei denen man seelische Unterstützung tanken kann?

Cornelia Martens: Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Punkt. Auch wenn wir, ganz generell gesprochen, sehen können, dass die Maßnahmen von der Bevölkerung weitgehend verstanden werden, mitgetragen werden und sich sehr viele aktiv in den Dienst am Nächsten stellen, so gibt es auch die andere Seite jener Menschen, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind. Jene, die durch die familiäre Situation extrem belastet sind oder jene, die nicht mehr besucht werden können.

Es gibt neben der beiden Corona-Hotlines (0800 555 621 – für allgemeine Infos und die Hotline 1450 – bei Verdacht auf Erkrankung) einige öffentliche, kostenfreie psychologische Hotlines von der Telefonseelsorge bis zur Kummernummer von Ö3.

Ich denke, dass es durchaus sinnvoll wäre, diese Hotlines in Corona-Zeiten auszubauen. Der Bedarf ist sicher da. Wir vom EAP-Institut haben psychologische Hotlines für unsere Firmenkunden und haben in den letzten Tagen einen Anstieg an Anrufen verzeichnet. Wir merken, dass auch die Nachfrage von Unternehmen, die ihre MitarbeiterInnen in diesen Tagen unterstützen wollen, zunimmt.

Die Digitalisierung ist jetzt in der gegenwärtigen Situation sicher ein Segen. WhatsApp, Skype und Co. können jetzt, da wir Sozialkontakte vermeiden sollen, eine Tür zur Außenwelt sein. Auch die ältere Generation kann bis zu einem gewissen Grad eingeschult werden oder ist sogar schon Nutzer.

Meine Eltern, 80 und 82, chatten fleißig in diversen Whats-App-Gruppen mit ihren Freunden, Kindern und Enkelkindern. Eine Freundin in München, die schon zwei Wochen in Quarantäne zu Hause mit ihrem Mann und ihrer kleinen Tochter verbringt, hat es auf den Punkt gebracht: Wie können wir diese Zeit alle unbeschadet überstehen? Ich habe jetzt schon einen „Lagerkoller“? Ich denke, dass wir auch die Personengruppe der Eltern mit Kindern nicht vergessen dürfen. Dazu sollten wir eigene Ideen zur Unterstützung ausarbeiten.

 

Was kann jede und jeder für sich tun, um auch psychisch gesund durch diese Krise zu kommen?

Cornelia Martens: Es kommt sehr auf die eigenen Lebensumstände an. Bin ich berufstätig und alleinerziehend oder bin ich BewohnerIn eines Pensionisten-Wohnheims und kann nicht besucht werden? Bin ich selbständig als KleinunternehmerIn, der/die gerade um sein wirtschaftliches Überleben bangt und MitarbeiterInnen kündigen muss, oder bin ich ÄrztIn in einem Spital und habe noch herausforderndere Arbeitsbedingungen als bisher? Muss ich um meinen Job zittern oder habe ich eine chronische Erkrankung und zähle zur Risikogruppe?

Im Idealfall werde ich mich in einer persönlichen krisenhaften Situation von einer geschulten Person begleiten lassen. Diese kann ein(e) TherapeutIn, ein(e) PsychologIn oder ein(e) psychologische(r) BeraterIn sein. Das wird allerdings nicht immer möglich und manchmal gar nicht gewollt sein.

Die Frage ist also: Was kann ich selbst, tun, wenn ich in einer krisenhaften Situation bin, um widerstandsfähig und positiv – trotz widriger Umstände – zu bleiben? Hier ein paar Gedanken und Anregungen:

 

Mit den Sorgen und Ängsten nicht allein bleiben.

Suchen Sie sich eine nahestehende Person oder einen Menschen, dem Sie vertrauen und äußern Sie ihre Gedanken. Oder schreiben Sie diese auf. Das kann bereits eine erste Hilfe sein.

 

Wenn negative Gedanken auftauchen, die Angst machen, nehmen Sie diese Gedanken wahr und versuchen Sie diese nicht zu sehr zu bewerten.

Versuchen Sie anzuerkennen, dass Sie diese Gedanken gerade haben und unterdrücken Sie diese nicht. Suchen Sie etwas, das Sie entspannt. Das kann das Lesen eines guten Buchs sein oder das Hören von Musik. Malen, Sport, Atemübungen – all das gehört hierher.

 

Erstellen sie eine „Was-tut-mir-gut-Liste“.

Auf diese Liste schreiben Sie 10 Punkte, die Ihnen guttun und die Sie in der jetzigen Situation auch gut umsetzen können. Schreiben Sie diese Punkte zügig auf und überlegen Sie, welchen der Punkte Sie heute noch machen möchten. Wählen Sie jeden Tag zumindest einen der Punkte aus und tun Sie, was Ihnen guttut.

Entschleunigen Sie und finden Sie Ihre eigene Methode: Es gibt zahleiche weitere Methoden – und ich spreche hier von Hilfe zur Selbsthilfe in schwierigen Zeiten – ,die jede und jeder zunächst selbst für sich finden muss. Von Meditationen (es gibt wunderbare APPs wie Headspace oder Calm) und Atemübungen über leichte sportliche Betätigung bis hin zu schweißtreibenden Workouts. Die Bandbreite reicht aber auch von kostenfreien Online-Kursen bis hin zum Schreiben eines Tagesbuchs. Auch hier gilt wieder: Was mir guttut, muss noch lange nicht dir guttun. Wir alle sind verschieden.

Und wenn irgendwie möglich: Verlieren Sie nicht Ihren Humor!

 

Wie können Unternehmen die psychische Belastung Ihrer Mitarbeitenden lindern/positiv beeinflussen?

Cornelia Martens: Für Unternehmen gilt dasselbe, was ich zur Bewältigung von herausfordernden Situationen ganz allgemein gesagt habe: Es gilt „menschgerecht“ (Stichwort: was brauchen wir Menschen allgemein, um krisenhafte oder schwierige Situationen gut zu bewältigen) und menschlich (dazu gehören Respekt und Wertschätzung) zu handeln.

Viele Unternehmen haben mittlerweile erkannt, wie essenziell es ist, den Menschen als „mehrdimensionales Wesen“ zu sehen: Körper-Geist und Psyche. Die psychische Dimension wurde lange Zeit komplett aus dem Berufsalltag verbannt – so, als ob der berufstätige Mensch bloß mit seinem Körper zur Arbeit käme und seine Psyche zu Hause lassen würde.

Seit Burnout und den damit verbundenen Krankenständen ist es nicht mehr zu leugnen: Auch die Psyche kann „krank“ werden und Krankenstände aus psychischen Gründen dauern länger als ein einfacher Schnupfen. Daher bieten viele Unternehmen, die wir zu unseren Kunden zählen dürfen – neben diversen Sportangeboten oder Sozialevents im Unternehmen – präventiv die Möglichkeit eines EAP (employee assistance program) an, bei dem ihre MitarbeiterInnen anonym und kostenfrei Coaching und Beratungen in Anspruch nehmen können.

 

„Die Frage ist falsch gestellt, wenn wir nach dem Sinn des Lebens fragen. Das Leben ist es, das Fragen stellt.“
(Viktor E. Frankl)

In diesem Sinne: Lasst uns gute Antworten auf die gerade gestellte Frage finden!

 

Fazit: Das hilft Menschen in einer Krise

In jeder Krise – oder aktuell in einer sehr herausfordernden Zeit mit dem Coronavirus – ist es für Menschen wichtig, klar, transparent und offen zu kommunizieren, damit alle Betroffenen ein Verständnis für die Situation entwickeln können.

Das gibt Sicherheit, denn Menschen wollen ihr eigenes Leben gestalten können, und dadurch haben sie auch in Krisenzeiten das Gefühl, dass eine Situation bewältigbar ist. Und auch wenn nicht immer alle Situationen bewältigt werden können – was in jedem Fall möglich ist, ist die Gestaltung der eigenen Einstellung zur Situation.

Quelle: Great Place To Work® Institute, 17.03.2020 von Anna Mahayni und Dr. Cornelia Martens; https://www.greatplacetowork.at/blog/coronavirus-gesellschaft

Viele Unternehmen bieten präventiv ihren Beschäftigten anonyme und kostenfreie Coachings und Beratungen im Rahmen eines eap (employee assistance program) an. Kontaktieren Sie uns und fördern Sie die mentale und körperliche Gesundheit Ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter!